Diabetes ist sehr plötzlich in mein Leben getreten. Nach einer Woche mit Beratung im Krankenhaus, war ich zwar wieder in Freiheit, aber auch auf mich allein gestellt. Die ersten Tage waren ein Ritt, die totale Verunsicherung und eine Achterbahn der Gefühle. Deshalb blogge ich jetzt, etwa sechs Monate nach der Diagnose, denn jetzt weiß ich noch sehr genau, wie das für mich war.
Schon in einem meiner letzten Blogbeiträge habe ich es geschrieben: Mein Typ-1-Diabetes kam mit einem Knall in mein Leben. Das volle Programm: überhöhter Zucker, Ketone im Blut und Notaufnahme. Dafür habe ich mich für insgesamt sieben Tage wohlbehütet in einem Kokon aus Diabetes-Beratung, ständiger Kontrolle und abgemessenem Krankenhausessen zu regelmäßigen Uhrzeiten wiedergefunden. Ganz ehrlich: Ich habe mich wirklich sehr gut aufgehoben gefühlt und die Beratung war super, ich konnte erste Experimente mit dem Blutzucker machen, und selbst das Essen war in Ordnung. So war aber auch die erste Woche nach dem Krankenhaus ein Sprung ins kalte Wasser.
Hier sind meine Top 4 der Seltsamkeiten, die mich am Anfang ganz besonders verunsichert haben:
Platz 4: Messen bis die Finger bluten
Die ersten Tage nach dem Krankenhaus bin ich natürlich noch mit einem klassischen Blutzuckermessgerät ausgestattet. Das CGM kommt erst deutlich später. Also sitze ich ständig am Küchentisch und zapfe brav nach Anleitung Bluttropfen aus meinen Fingern.
Letztens habe ich in einem etwas in die Jahre gekommenen Blogbeitrag gelesen: „Leistungssportler messen bis zu sechs (!) mal am Tag ihren Blutzucker.“ (Leider finde ich den Artikel nicht wieder :/) Wenn es nach meinem Messverhalten geht, bin ich für ein paar Tage Leistungssportler! Bei meiner Diabetologin bin ich regelmäßiger Gast, hole mir lieber ein Rezept mehr und messe sogar sieben oder achtmal täglich. Die Messstreifen gibt es schließlich gratis (danke liebe Krankenkasse).
Meine Empfehlung ist daher, gerade am Anfang nicht mit dem Messen geizen. Meine Diabetologin, hat sich jedenfalls nie beschwert, wenn sie noch ein Rezept ausgestellt hat. Und es gibt einfach eine Menge Sicherheit. Ich habe noch kein richtiges Körpergefühl und ja auch keine Daten – außer ich setze mich eben hin und messe. Immer erst messen, wenn ich den Unterzucker spüre ist mir zu doof. Und außerdem will ich ja auch Eis essen, Frühstücken gehen, ein Stück Kuchen genießen. Also nur brav zu den Hauptmahlzeiten messen? Viel zu unpraktisch! Zum Glück gibt es ja heute die Bluetoothnadel in meinem Arm und meine Finger werden nur noch selten gelöchert.
Platz 3: Von Unterzucker zu Unterzucker
Kaum aus dem Krankenhaus, stehe ich zitternd und schwitzend in meinem Wohnzimmer und futtere Traubenzucker. Der erste richtige Unterzucker. Junge junge das schlaucht. Natürlich ist da die Panik die eintritt: Was passiert hier gerade mit mir? Ist das jetzt immer so? Oh Gott, wie soll das bloß alles funktionieren, wenn ich jetzt schon in den Unterzucker rausche?!!
Am Ende ist es alles nicht so schlimm, aber trotzdem: Jeder Unterzucker macht mich erstmal ein bisschen fertig. Mich erwischt es am Anfang ständig: Mal beim Möbel räumen (ja auch das frisst Zucker), mal stehe ich morgens mit super niedrigen Werten auf und fühle mich wie gerädert. Irgendwann habe ich das Gefühl, nur noch gegen den Unterzucker anzufuttern. Bananen kaufe ich im Dutzend, Dextro sollte mir langsam einen Großkundenrabatt geben.
Schließlich rufe ich bei der Diabetes-Beratung meiner Diabetologin an. So kann es doch nicht weitergehen. Warum rutsche ich ständig in eine Hypo? Die Beratung ist nett und zuvorkommend. Sie empfiehlt mir die Basalrate zu senken. Wenn du liebe:r Leser:in das Problem kennst, ist das vielleicht auch für dich eine Idee, aber besprich dich vorher mit deinem Arzt oder deiner Ärztin. So korrigiere ich also meine Basalrate, und nach und nach wird es besser. Per Trial and Error, nähere ich mich dem Optimum. Irgendwann kann ich auch ohne Blutzuckersturzflug spazieren gehen. So schnell geht es immerhin auch mit den Erfolgen.
Platz 2: Kohlenhydrate die Panik auslösen
„Oh Gott, ich habe mir ne Nudel in den Mund gesteckt!“, denke ich mir während ich mit der anderen Hand im Topf voll perfekt abgemessener Pasta rühre, „Jetzt steigt mein Blutzucker bestimmt ins Unermessliche! Ich habe ja nicht gespritzt!“
So dreht sich mein Gedankenkarussel am Anfang noch. Und ich denke das ist gerade am Anfang normal. Ich kann überhaupt nicht einschätzen, wie sich mein Blutzucker verhält, nachdem ich etwas gegessen habe. Bisher messe ich ja nur blutig und auch nur etwa alle drei Stunden. Die Zeit dazwischen ist eine Blackbox. Kaum zu glauben, dass das früher so der Standard war. Und ich rede nicht einmal von der grauen Vorzeit, als die Diabetiker:innen einmal im Jahr zum Blutzucker bestimmen zum Arzt gepilgert sind.
Die Nudel, der Biss ins Brot, eine Gabel Kuchen…alles scheint ein Risiko für einen Überzucker zu sein. Aber ich merke auch nach einer Weile, dass minimale Mengen Zucker mich nicht umbringen. So richtig begreife ich meinen Blutzucker mit der kontinuierlichen Glucosemessung (CGM), bei dem ich kontinuierlich sehen kann, wo sich mein Blutzucker so hinbewegt. Es ist einfach super hilftreich zu sehen, dass sich die Zuckerkurve abflacht auch ohne Insulin, und das Bewegung einen großen Einfluss hat. Manchmal sind ein paar Kohlenhydrate auch genau das Richtige, um die Blutzuckerkurve in normale Bahnen zu lenken. Insbesondere lerne ich um einen Unterzucker zu verhindern, bevor er entsteht. (Toller Werbespruch für CGMs: „Stoppen Sie Ihren Unterzucker noch bevor er entsteht.“ Wenn du das liest Dexcom, ruf mich gerne an.)
Platz 1: Zu viel Insulin?
Die Psyche ist manchmal ein komisches Ding: Da fängt man an sich tagtäglich etwas zu spritzen und sofort baut der Kopf Hemmungen ein. Ich habe anfangs große Hemmungen mir größere Mengen Insulin zu spritzen. Aus irgendeinem nicht rationalen Grund kommt mir das falsch vor. Schon im Krankenhaus habe ich es angesprochen. Der durchaus hilfreiche Kommentar der Beraterin dazu war: „Naja ihr Körper würde sonst die gleiche Menge Insulin selbst produzieren.“
Wie bei den anderen Herausforderungen auch muss ich mich hier herantasten. So geht es bestimmt vielen am Anfang. Man hat ja auch einfach Hemmungen in einen Unterzucker zu rauschen. Heute habe ich zum Glück gelernt damit umzugehen, und ich spare kein Insulin ein. Das ist wahrscheinlich auch das Fazit von diesem Blogbeitrag: Am Anfang ist alles seltsam, man muss mit einer chronischen Krankheit leben und all diese komplexen neuen Dinge überfordern. Wenn es dir gerade auch so geht: Keine Sorge, das geht vorbei. Ich habe inzwischen gut gelernt mit all diesen Seltsamkeiten umzugehen. Dann kannst du das auch.