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Marathon mit Typ-1-Diabetes: Ein Erfahrungsbericht

Einen Marathon mit Typ-1-Diabetes laufen – geht das überhaupt? Das war das Erste, was ich nach meiner Diagnose gegoogelt habe. Jetzt habe ich tatsächlich einen Versuch gewagt. Wie es lief? Das erfahrt ihr in meinem Bericht.

Mir tut einfach alles weh – dabei ist das Ziel schon in Sichtweite. “Hauptsache weiter laufen”, denke ich mir und setze weiter einen Fuß vor den anderen. “Wie bin ich hier nur gelandet?”, frage ich mich, während die ersten Krämpfe durch meine Oberschenkel zucken, “Ist es das wirklich wert, einen Marathon mit Typ-1-Diabetes zu laufen?” Aber der Reihe nach.

Warum ein Marathon mit Typ-1-Diabetes?

Es ist etwa neun Monate her, da saß ich als Gast im bevegt-Podcast. Darin erzählte ich meine Geschichte: Von der Diagnose mit Typ-1-Diabetes, über meine ersten frustrierenden Laufversuche bis hin zu meinem ersten Halbmarathon. Als ich stolz am Ende angelangt war, fragte mich Katrin, die Moderatorin des Podcasts: “Und? Jetzt fehlt doch eigentlich der Schritt zum Marathon oder?” Und ich sage: “Ja da hast du recht…vielleicht im Frühjahr in Hannover.” Da war es ausgesprochen. Das machte das Ziel real. Und alle haben es gehört.

Die Vorbereitung zum Marathon mit Typ-1-Diabetes

Ich bin schon in diesem Blogpost (bitte hier entlang) auf die Details meines Trainings eingegangen. Deshalb nur in aller Kürze: Ich habe 16 Wochen lang auf einen einzigen Tag hingearbeitet. Dabei bin ich um die 65 Kilometer pro Woche gelaufen – meistens vier Tage die Woche. Mit jedem Lauf spürte ich den Trainingseffekt und irgendwann wurden selbst die Langen Läufe von bis zu 35 Kilometer angenehmer.

Den Blutzucker hatte ich dabei gut unter Kontrolle. Anders als vermutet, musste ich nicht wahnsinnig viel Zucker tanken, um über die langen Strecken zu kommen. Tatsächlich hat sich der Körper schnell angepasst und ich konnte bald ohne Probleme alle Trainingseinheiten kalkulieren.7

Typ-1-Diabetes Management im Marathon-Training 

  • Kurze Läufe: Wenn ich morgens gelaufen bin, habe ich vor dem Lauf nur ganz wenige Kohlenhydrate gebraucht. Das Dawn-Phenomenon (also ein hormonbedingter Blutzucker-Anstieg am Morgen) hat dafür gesorgt, dass ich 45 bis 60 Minuten stabil laufen konnte.
  • Intervalle und Tempoläufe: Dafür habe ich meistens etwas gegessen, auch damit die Muskeln für die harten Einheiten Futter haben. Dafür war ich zwar kurz bei Blutzuckerwerten über 200, aber das ging durch das schnelle Laufen auch schnell wieder runter.
  • Lange Läufe: Hier habe ich bis zu vier Kohlenhydrateinheiten gegessen, bevor ich losgelaufen bin. Damit war mein Zucker für die erste Stunde oft über 200, dann fiel der Wert wieder, und ich habe ihn mit Sport-Gels stabil gehalten. So bin ich über lange Läufe von bis zu drei Stunden (etwa 33 Kilometer) gekommen.

Natürlich sind auch mal Läufe schief gegangen. Einen Lauf musste ich komplett abbrechen, weil nach kurzer Zeit mein Blutzucker im Keller war. Aber das gehört dazu, wenn man mit Typ-1-Diabetes an große Ziele heranwagt. Man muss viel ausprobieren, rumexperimentieren und auch mal auf die Schnauze fallen, um den besten Weg fürs Training zu finden.

Jetzt aber Marathon: Die Rennvorbereitung eines Typ-1-Diabetikers

Ich habe 16 Wochen trainiert, viele lange Läufe und harte Tempotrainings hinter mich gebracht. Etwa eineinhalb Wochen vor dem großen Rennen gehe ich ins Tapering. Das bedeutet, dass ich den Laufumfang drastisch reduziere – also anstatt vier bis fünf Mal die Woche zu trainieren gibt es nur noch drei sehr kurze Einheiten. Das hat – Überraschung – natürlich direkte Auswirkungen auf den Insulinbedarf. 

Ich musste tatsächlich in der Woche vor dem Marathon mit Typ-1-Diabetes meine Basalrate wieder erhöhen. Dass meine Insulinsensitivität so schnell sinken würde, damit habe ich nicht gerechnet. So kam es, dass ich in der Woche erst einmal mit zu hohen Werten zu kämpfen hatte. Nach der Umstellung auf mehr Basalinsulin hatte ich es aber wieder im Griff. 

Den Tag vor dem Rennen habe ich es dann einfach gehalten. Es gab Kartoffeln, denn da fällt mir das Schätzen der Kohlenhydrateinheiten besonders einfach. Abends habe ich noch alle meine Klamotten und meine Verpflegungen für den großen Tag zurechtgelegt, damit ich auch ja nichts vergesse. Und damit war ich bereit für meinen ersten Marathon mit Typ-1-Diabetes.

Raceday: Macht mir Diabetes einen Strich durch die Rechnung?

Bei einem Marathon mit Typ-1-Diabetes kann einfach so viel schief gehen: Was, wenn ich zu wenig Zucker zu mir nehme? Was, wenn mein Blutzucker trotz allem auf Talfahrt geht? Wie verhält sich mein Zucker nach Kilometer 35, wenn ich weiter laufe als je zuvor? 

All diese Fragen spuken mir nachts durch den Kopf und lassen mich kaum schlafen. Dennoch stehe ich morgens auf (noch einmal eine Stunde früher, danke Zeitumstellung) und esse nur eine Portion Sojaquark. Ich will auf jeden Fall vermeiden, vor dem Rennen Bolus-Insulin zu spritzen. So mache ich mich mit der Bahn auf den Weg zum Start. 

Im Startbereich bin ich schon bei einem Blutzuckerwert von 180 mg/dl. Das Adrenalin zeigt Wirkung und lässt meinen Blutzucker steigen. Dennoch greife ich zum im Training bewährten Müsli-Riegel: Schließlich brauche ich Energie für 42 Kilometer. Der Startschuss fällt, ich laufe los.

42,195 Kilometer mit Typ-1-Diabetes

Man sieht den Autor beim Laufen seines Marathons mit Typ-1-Diabetes. Er trägt eine Startnummer auf dem Bauch. Um ihn herum sind weitere Personen zu sehen, die ebenfalls Laufen.
Volle Konzentration auf den letzten Kilometern

Ich merke relativ bald, dass der Abstand zwischen Riegel und Start etwas zu kurz war. Mein Magen freut sich nicht über die doppelte Anstrengung von Laufen und Verdauen. Dennoch fühlen sich die ersten Kilometer ziemlich gut an. Mein Blutzucker steigt weiter, was mir zumindest die Sorge nimmt, in einen Unterzucker zu geraten. Die Stimmung am Rand der Strecke ist großartig, ich freue mich zwischen so vielen Läuferinnen und Läufern mit dem gleichen Ziel zu sein. Stolz trage ich ein Shirt vom GGPAD mit der Message: “One Team. One Mission. A world without Type 1.” auf dem Rücken. So läuft es wunderbar. Als der Halbmarathonpunkt erreicht ist, lege ich das erste mal ein Gel nach, um den Blutzucker konstant zu halten. Von da an, esse ich etwa alle halbe Stunde ein wenig Zucker. Mein Dexcom zeigt konstant gute, wenn auch etwas zu hohe Werte. Die harten Kilometer können kommen!

Der schwerste Teil des Marathons fängt für mich bei Kilometer 35 an und hat vor allem mit meiner Selbstüberschätzung zu tun. Ab Kilometer 30 dachte ich mir: “Oh! Es läuft so gut, ich kann noch eine Schippe drauflegen!” und beschleunige um einige Sekunden pro Kilometer. Eine blöde Entscheidung. So werden nur kurze Zeit später meine Beine schwer wie Blei. Mein Magen fängt an zu rebellieren. Erste Krämpfe kündigen sich an. Die letzten sieben Kilometer bis zum Ziel treiben mich mental und körperlich ans Limit. Aber: Der Blutzucker ist stabil.

Der letzte Kilometer – dem Diabetes zeigen, wo der Hammer hängt

Und damit sind wir wieder am Anfang des Textes: Es ist nur noch ein Kilometer! Ein Mann auf der Strecke mit einer enormen Kuhglocke läutet ihn ein. Kaum merkt mein Körper, dass ich fast am Ziel bin, geht er in Streik. Ein Krampf durchzuckt mein Bein. Ich muss kurz stehen bleiben, mich strecken. Ich reisse mich zusammen und zwinge mich dazu weiter zu laufen und komme schließlich ins Ziel. Hallelujah!

Fix und alle nehme ich meine Medaille und das wohlverdiente alkoholfreie Weizenbier entgegen. Ich habe Tränen in den Augen und bin stolz wie es nur Marathonläufer:innen sein können. Ich habe es geschafft. Ich bin in 3:36 Stunden einen Marathon mit Typ-1-Diabetes 42,195 Kilometer gelaufen. Ich begebe mich humpelt in Richtung der Umkleiden als mein Handy brummt. Mein Bruder schreibt: “Herzlichen Glückwunsch! Da hast du dem Diabetes aber gezeigt, wo der Hammer hängt!” Und ja, besser kann man es einfach nicht sagen.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Maria

    Ich bin letztes Jahr einen 10km Lauf in Würzburg gelaufen. Leider war ich am Start wirklich sehr aufgeregt. Der Zucker war zwar am Start noch „nur“ bei ca. 230mg/dl, allerdings erhöhte er sich weiterhin während des Laufs.
    Laufen mit Typ 1 Diabetes bereitet mir auch nach 20 Jahren mit der Erkrankung viele Beschwerden. Dennoch werde ich nicht aufgeben.

    1. TypeOneHenk

      Hi Maria!

      Glückwunsch zu deinem 10 Kilometer Lauf letztes Jahr! Tolle Leistung!

      Das was du beschreibst, dass der Zucker so während des Laufens ansteigt, das hatte ich bei einem 10K letztes Jahr auch. Vielleicht macht das die Aufregung und das Adrenalin. Die Distanz ist vom Diabetes-Management auf jeden Fall ganz anders.

      Toll, dass du trotz aller Hindernisse mit Typ 1 dabei bleibst! Weiter so! Du zeigst, dass wir alle auch nach 20 Jahren oder länger nie ausgelernt haben 🙂

      Danke für deinen Kommentar!

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