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Diabetes Experimente: Warum Neudiabetiker sich ausprobieren müssen

Vier Tage nach der Diagnose laufen gehen? Vier Wochen nah der Diagnose wandern? Nach meinen ersten sechs Monaten mit Diabetes bin ich mir sicher: Gerade Neudiabetiker müssen ihre Grenzen ausprobieren!

Es ist mein vierter Tag im Krankenhaus. Vor vier Tagen lag ich auf der Notaufnahme mit Kanülen im Arm. Vor drei Tagen habe ich gelernt wie ich mir eine Spritze selber setze. Vor zwei Tagen habe ich das erste mal selbst meinen Blutzuckerwert gegessen. Jetzt sagt mir meine Diabetisberaterin: “Geh doch mal vor die Tür und geh eine Runde laufen. Einfach mal um zu schauen, was mit deinem Zucker passiert.” Und ich stelle mir die Frage: Ist die Frau wahnsinnig?

Was wenn ich etwas falsch mache?

Gerade als neudiagnostizierter Diabetiker habe ich vor allem Angst, etwas falsch zu machen. Was wenn ich mir das Insulin falsch spritze? Oder ich meine Kohlenhydrateinheiten falsch berechne? Immerhin werde ich jede Nacht um drei geweckt, um meinen Blutzucker von einer netten Schwester kontrolliert zu bekommen. Ich habe das Gefühl, wenn ich etwas falsch mache, stehe ich mit einem Bein im Grab. 

Und nun steht die selbe Diabetesberaterin vor mir, die mir vor zwei Tagen erklärt hat, dass ich bei einem Unterzucker ins Koma fallen kann, und sagt mir, dass ich Sport machen soll. Meine Gedanken rasen: Was, wenn ich unterzuckere nach dem Laufen? Oder noch viel schlimmer beim Laufen? Geht das innerhalb von Sekunden? Schlage ich mir dann den Kopf am Bordstein auf? Aber auch: Geil, Laufen!

Lieber fünf Traubenzucker einpacken

Also sage ich mir, na gut. Sie wird schon wissen, was sie mir empfiehlt. Ich packe fünf Traubenzucker ein, ziehe mir eine kurze Hose und Chucks an. Die Diabetesberaterin kommt extra noch mal vorbei und misst den Blutzucker: Grünes Licht. Ich atme tief durch und gehe raus. 

Nach 20 Minuten bin ich durchgeschwitzt wieder da. Mein Blutzucker ist immer noch im grünen Bereich. Ich fühle mich großartig. “Dann holen Sie sich mal nen Schokoriegel”, sagt mir noch meine Beraterin und ich bleibe mit einem seligen Grinsen im Krankenhausflur stehen.

Schlüsselmoment für das Diabetesmanagement

Dieser Lauf war für mich eine extrem wichtige Lektion in Sachen Diabetes-Management. Mit dieser Erfahrung wurde mir auf einen Schlag klar: Ich muss einfach Dinge ausprobieren. Zucker in die Tasche stecken und los. So viel kann nicht schief gehen. Die Erfahrung mit dem Sport übertrage ich auch aufs Essen. Anstatt mein Essen penibel abzuwiegen, gehe ich den ersten Tag nach meinem Krankenhausaufenthalt mit meiner Frau frühstücken. Die Freiheit genießen. Und schätze die Kohlehydrateinheiten. Wird schon schiefgehen.

Ich habe inzwischen von anderen Neudiabetiker:innen gehört, dass sie sich monatelang nicht getraut haben, Eis zu essen, auswärts Essen zu gehen oder Sport zu treiben. Meine Diabetesberaterin hat mich noch im Krankenhaus aufgefordert, einfach mal zu experimentieren. Da bin ich ihr verdammt dankbar für.

Weitere Dinge, die ich noch in den ersten vier Wochen nach der Diagnose ausprobiert habe:
Wandern gehen
– Eis essen
– Wein und Bier
– Radfahren
– Schwimmen gehen
– Insulinfaktor ändern
– Basalrate anpassen

Rückschläge gehören dazu

Zum Experimentieren gehören auch Rückschläge. Mal schmiert der Blutzucker ab, mal muss ich einen Lauf abbrechen, mal schießt der Zucker in die Höhe. Aber wenn ich es nicht ausprobiere, weiß ich nicht, wie mein Blutzucker reagiert. Da gehört dann auch die entsprechende Vorsicht dazu: Am Anfang bin ich nie weit von Zuhause weggejoggt. Die Angst vorm Unterzucker ist natürlich noch da und ist vollkommen okay. Zucker habe ich immer in der Tasche. Und schon vor dem Dexcom habe ich lieber einmal zu viel als zu wenig meinen Blutzucker gemessen und mir dafür ständig neue Messstreifen verschreiben lassen. Experimentieren heißt auch, die Ergebnisse zu kontrollieren. 

Das hat mir dieser eine Lauf im Krankenhaus gelehrt – und das habe ich dieser großartigen Diabetes-Beraterin zu verdanken: Wenn ich die Arbeit meiner Bauchspeicheldrüse übernehmen will, muss ich wissen wie sie in unterschiedlichsten Situationen reagiert. Inzwischen, nach etwa sechs Monaten seit dem Krankenhaus bin ich nach allen Rückschlägen ganz gut eingependelt. Also raus in die Welt und ausprobiert! Natürlich immer mit Notfallzucker in der Tasche.

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Experimentieren heißt auch nach vier Kilometern, wenn der Zucker im Keller ist, den letzten Kilometer zu gehen

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